tip, 15.4.2014
Wie lange Wolf Hogekamp schon unter den Lebenden wandelt, weiß niemand so genau, weder seine Wikipedia-Seite noch er selbst geben diesbezüglich Auskunft. Dass er seit 20 Jahren als Impresario des deutschen Poetry-Slam aktiv ist, darüber gibt es allerdings keinen Zweifel. 20 Jahre Poetry-Slam: Dieses Jubiläum wird nun in der Volksbühne mit einem Gipfeltreffen gefeiert. Viele Schwergewichte der deutschen Szene wie Volker Strübing, Bas Böttcher, Sebastian 23 oder Hogekamp selbst werden rhythmische oder getragene, lyrische oder prosaische, kritische oder kalauernde Wortkaskaden auf die Hirnleinwand des Zuhörers werfen.
Ende ’93 fing alles an. Im Schöneberger Ex’n’Pop bildete sich ein kleiner Lesezirkel, der Text und Performance als Einheit erachtete und mit dem sterilen Charakter der etablierten Wasserglaslesung brach. „Es war nicht so, dass wir das einfach aus Chicago übernommen haben“, sagt Hogekamp. Parallel zu dem, was Marc Smith – der als Begründer des Poetry-Slam gilt – seit 1986 in den USA machte, sei hier ein eigenes Sprachperformance-Ding entstanden. Erst später habe man sich an den (wenigen) Regeln der US-Version orientiert.
Im Poetry-Slam begegnen sich Menschen in einem Wettstreit des gesprochenen Wortes. Jeder Kontrahent hat fünf Minuten Zeit, sich mit einem selbst verfassten Textstück – ohne zusätzliche Staffage – die Gunst des Publikums zu erstreiten. Letzteres fungiert durch frenetischen oder verhaltenen Applaus als Preisgericht. Wer mal bei einem guten Slam dabei war, weiß, wie die Menge dabei zuweilen ausrastet.
Hogekamp steigt auch selbst in den Ring, bekleidet aber in erster Linie die Rolle eines sogenannten Slam-Masters. Er organisierte 1997 die ersten deutschen Poetry-Slam-Meisterschaften. Er ist Veranstalter, Netzwerker, Kritiker, Trainer. „Wir gehen heute viel in die Schulen rein“, sagt Hogekamp, „Spoken Word kann ein Bewusstsein für Sprache schaffen, gerade bei Leuten, die im klassischen Deutschunterricht vielleicht versagen.“ Ähnlich wie beim Fußball gibt es einen U-20-Bereich, den Hogekamp mit Veranstaltungen und Workshops betreut. „Poetry Slam“, sagt er, „ist eine Sprachwerkstatt. Und natürlich unterscheidet sich das, was wir machen, von klassischer Literatur. Das ist ja explizit für die Bühne geschrieben.“
Auch wenn er zustimmt, dass die Richterfunktion eines pointenhungrigen Publikums zuweilen Gefälligkeits-Prosa bedingt, hängt ihm die gelegentliche Schmäh-Kritik der Feuilletons zum Hals raus. Es gebe nicht „den einen Poetry-Slam“. Spoken Word sei ein eigenes Format mit Autoren jeder Art und Güte. Leider könne man auch als Veranstalter die Schenkelklopfer-Texte nicht komplett verhindern. „Durch die Auswahl von Leuten versuch ich das aber zu minimieren“, sagt Hogekamp, der mit Julian Heun regelmäßig den Bastard Slam im Ritter Butzke in Kreuzberg ausrichtet.
Die Szene ist in den letzten 20 Jahren enorm gewachsen. Inzwischen gibt es allein in Berlin etwa 15 regelmäßige Veranstaltungen. Im deutschsprachigen Raum herrscht eine breite Vernetzung, von den Profis kennt jeder jeden, Leute wie Bas Böttcher reisen als Spoken-Word-Botschafter um die Welt. Poetry Slam, meint Hogekamp, sei eine eigene Subkultur geworden und doch bleibe alles im Fluss, die Jungen slammten anders als die Alten, die Mädels anders als die Jungs.
Die Poetinnen sind allerdings, ähnlich wie im Rap, noch immer in der Minderheit. Das ändere sich aber gerade, in der U-20 seien deutlich mehr Frauen dabei. Diese würden häufig persönlicher schreiben als ihre männlichen Kollegen. „Die Typen hauen meist mehr auf die Kacke“, sagt Hogekamp. „Aber auch das kann man gut oder schlecht machen.“
In den USA startete Poetry-Slam seinerzeit als subversives Projekt gegen einen elitären Literaturbetrieb. Und auch wenn die deutsche Slam-Szene den Fokus auf Unterhaltung legt, ginge es, so Hogekamp, doch vor allem darum, das Wort aus dem Elfenbeinturm raus zu den echten Menschen auf die Straße zu holen.