tip, 8.9.2015
Kate und Geoff sind seit knapp 45 Jahren verheiratet und führen eine harmonische, aber von Routinen und der aufkommenden Unbill des Alters gezeichnete Beziehung. Das Leben in Norfolk ist beschaulich, aber vielleicht nicht ganz das, was sie sich in früheren Tagen – als noch Zeit war für die Zukunft – erhofft hatten. Bis aus heiterem Himmel über die beiden das Unheil in Gestalt der ewigen Jugend hereinbricht. Geoff erhält einen Brief, der ihn darüber informiert, dass man in der Schweiz im Eis die Leiche seiner Jugendliebe gefunden hat. Bevor er Kate kennenlernte, war Geoff mit Katja zusammen. Auf einer gemeinsamen Wanderung durch die Alpen, stürzte die junge Frau in eine Gletscherspalte.
Mit dem konservierten Gestern konfrontiert, fängt Geoff langsam an, sich zu verändern. Er beginnt wieder zu rauchen, wühlt auf dem Dachboden nach Jugendartefakten, beschwert sich über seine lahmen Freunde, die sich so betagt gebärden wie die Rentner, die sie sind. Kate hingegen bemüht sich, der emotionalen Konkurrenz, die die Eisleiche darstellt, mit Pragmatismus zu begegnen und stürzt sich in die Vorbereitungen zum 45. Hochzeitstag, der als großes Fest angedacht ist, und der Unverwüstlichkeit ihrer Beziehung ein feierliches Denkmal setzen soll. Zusehends wird sie jedoch von ihren Ängsten und dem Unausgesprochenen eingeholt, das sich zwischen dem Ehepaar über die Jahre gestaut hat. Die Fremdheit unterhöhlt das Vertraute, gegen die idealisierte, im Eis erhaltene Vergangenheit fühlt sich Kate mit ihrer von Falten und Augenringen gezeichneten Gegenwart machtlos.
Andrew Haigh hat mit „45 Years“ ein großartiges Kinostück über die Sackgassen der Liebe gedreht. Die ruhigen, wohlkomponierten Bilder und langen Einstellungen von Kameramann Lol Crawley untermalen gleichsam das Ungesagte zwischen den Figuren. Die mal heitere mal nebelige Norfolk-Kulisse illustriert die schwankenden Gefühle.
Vor allem aber ist „45 Years“ herausragendes Schauspielerkino. In Charlotte Ramplings Gesicht und in den Gesten und der Mimik von Tom Courtenay spielt sich ein eigener Film ab, der weder der gesprochenen Worte noch des symbolisch aufgeladenen Interieurs bedürfte, um die komplexen und ambivalenten Stimmungslagen der Protagonisten in Szene zu setzen. Ganz zu Recht sind die beiden dafür auf der diesjährigen Berlinale mit silbernen Bären für die besten schauspielerischen Leistungen bedacht worden. Trotz des eigentlich bedrückenden Settings bringt das Paar eine Leichtigkeit und Erhabenheit in den Film.
Die Jubiläumsfeier findet schlussendlich statt, und ist, ohne dabei Happy End zu sein, dann doch nicht die Maskerade, die sie bei all den Turbulenzen hätte sein können.