Der Tagesspiegel, 3.1.2017
Wenn Matteo Martelli von antiker Alchemie erzählt, fangen seine Augen zu glänzen an. Etwa zwanzig Jahre ist es her, dass sich der Wissenschaftshistoriker und Altphilologe in einer kleinen Buchhandlung in Bologna in jene traditionsreiche Disziplin verliebte. Zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert geriet sie in Verruf und fristet seither – als Pseudo-Wissenschaft etikettiert – ein Schattendasein in esoterischen und popkulturellen Nischen.
Ein Paradigmenwechsel führte seinerzeit zu einer fundamentalen Neuorganisation des Wissens: Die Alchemie wurde aus dem Kanon okzidentaler Lehrmeinungen ausgeschieden und verfiel dem Spott der wissenschaftlichen Autoritäten. Heute erinnert das Wort Alchemie an mittelalterliche Obskuranten, die in spärlich ausgeleuchteten Werkstätten an der fixen Idee laborieren, niedere Metalle in Gold zu verwandeln.
Der Alchemie-Experte Matteo Martelli verwehrt sich aufs heftigste gegen das aus seiner Sicht kulturarrogante und anachronistische Label einer unechten Wissenschaft. Das, was wir heute Alchemie nennen, sei vielmehr eine Art Chemie mit anderen Mitteln gewesen – mit jenen eben, die man in früheren Zeiten zur Verfügung hatte. So habe man unter anderem untersucht, wie bestimmte Stoffe miteinander reagieren und auf welche Weise sie ihre Beschaffenheit ändern. Keineswegs sei es ausschließlich um die nach heutigem Wissensstand (abseits kernphysikalischer Verfahren) unmögliche Herstellung von Gold gegangen…