tip, 9.7.2014
Links hinter dem einen Eingang zur Cuvry-Brache an der Schlesischen Straße beginnt zunächst der Bereich der Öko-Hippies: Bäume spenden Schatten, Nutzpflanzen liefern vegane Lebensmittel. Doch nur wenige Meter weiter steht man plötzlich auf einer staubigen „Straße“, gesäumt von Hütten aus Wellblech und Holz. Roma-Kinder tollen durch den Schutt, ihre Mütter sitzen im Schatten aufgespannter Wäscheleinen. Die von den anderen Bewohnern der Cuvry als „Rumänen-Straße“ bezeichnete Gasse führt auf die Hauptader des Geländes zurück, von welcher die Hütten der Polen, die Zelte der Punker und der Uferstreifen zur Spree abgehen.
Als 2012 auf dem Gelände an der Cuvry-/Ecke Schlesische Straße das BMW Guggenheim Lab geplant wurde, gab es viele Proteste. Vorsichtshalber verlegte man das Lab auf einen anderen Platz. Stattdessen schlugen hier nach und nach immer mehr Menschen Zelte auf beziehungsweise begannen sogar, Hütten zu errichten. Wie viele hier inzwischen leben, darüber lässt sich nur spekulieren. Es herrscht Fluktuation. Für die meisten Bewohner stellt das Gelände bloß eine Zwischenlösung dar. Aufgrund der Vermüllung wird es manchmal als „Kreuzberger Favela“ diffamiert. Dabei steht am Eingang eine vom Bezirk gestiftete Mülltonne. Die jedoch nicht geleert würde, heißt es auf dem Platz.
Dominique Wolf würde gerne etwas an diesen Verhältnissen ändern, setzt sich beispielsweise dafür ein, dass ein Toilettenhäuschen aufgestellt wird. Da Wolf von Beruf Schauspielerin und Regisseurin ist, geht sie die Sache aber auch kulturell an. Geplant ist nun, dass ihr Ensemble am 26. Juli die Hütten der Bewohner bespielt, während diese – Beggars-Banquet-mäßig – an einer langen Tafel fürstlich speisen. Alle gemeinsam natürlich, die Polen, die Hippies, die Punker, die Rumänen. Auch die Anwohner will sie einladen, um die wachsende Skepsis gegenüber dem Gelände und seinen Bewohnern zu therapieren.
„Wolfsfrieden“ nennt die Regisseurin ihr Projekt. Ob es funktioniert, ist fraglich. Einige Camper hätten geäußert, sie wollten nicht, dass die Rumänen mit an der Tafel sitzen. Immer wieder gibt es auf dem Gelände Ärger, Diebstähle, Handgreiflichkeiten. Dominique Wolf hat klargemacht, dass ihr Projekt nur mit allen funktioniert – oder gar nicht.
Mit etwas Glück werden also in ein paar Wochen alle an einen Tisch gebracht: Chiara, die italienische Architektin, die über die Cuvry bloggt und mit ihrem Künstlerfreund Yuki ein Haus mit einer zengartenähnlichen Terrasse gebaut hat. Clemens, der Öko-Hippie, der an einem Antrieb mit „totaler Nichtgeschwindigkeit“ bastelt. Der Urberliner Snookie, der eigentlich hier weg möchte, „weil der Platz einen fertig macht“, aber trotzdem für den Erhalt der Cuvry als Forschungsstation für freies Leben kämpft. Der junge Pole Karol, der auf Wohnungs- und Jobsuche ist. Und der Roma-Vater, der nach Geld fragt, um seine im Wellblech wohnenden Kinder zu ernähren.
Ob der „Wolfsfrieden“ tatsächlich zustande kommt, ist ungewiss. Wie ein Damoklesschwert schwebt seit Langem eine Räumung über der Brache. Über konkret bevorstehende Maßnahmen wollte sich die Berliner Polizei nicht äußern. Der Besitzer, ein Investor aus München, sei aber mit der Polizei in Kontakt getreten und habe zu klären versucht, welche Voraussetzungen für eine Räumung erfüllt sein müssen, so der Leiter der polizeilichen Pressestelle, Thomas Neuendorff. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung – die dem Bezirk Anfang der Nullerjahre die baurechtliche Hoheit über das Gelände entzogen hatte – behandelt zwar die Bebauungspläne, sei aber, wie die Sprecherin Petra Roland verlautbart, ansonsten nicht zuständig für das Gelände. Senat und Bezirk verweisen beide auf den Besitzer als Verantwortlichen, die Polizei agiert indes nur bei konkreten Straftaten. Wie lange das Camp noch als permanentes Provisorium existiert, steht in den Sternen. Dominique Wolf hofft weiter auf ihren Wolfsfrieden.