Der Tagesspiegel, 2.3.2015
Ein Knopfdruck von Verena Lepper – und eine Lage verblichener Papyri schiebt sich langsam aus der Vitrine hervor. Das zeitlose Antlitz der Nofretete im Nachbarraum scheint den Nordflügel des Neuen Museums und die darin beherbergte Papyrussammlung zu überwachen. Intuitiv dämpft der Besucher die Stimme angesichts dieser mehrere tausend Jahre alten Schriftstücke. Derart porös scheinen diese Zeugnisse vergangener Kulturen zu sein, dass man trotz des Schutzglases fürchtet, sie bei zu lauter Stimmlage in Staub zu verwandeln.
„Das ist Aramäisch“, sagt Verena Lepper, seit 2008 Kuratorin für Ägyptische und Orientalische Papyri am Ägyptischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin. Die promovierte Ägyptologin, die 15 Sprachen aus den verschiedensten Zeitaltern beherrscht, deutet auf ein großes Stück Papyrus: „Hier bittet der Leiter einer aramäo-jüdischen Gemeinde auf der Nilinsel Elephantine den Statthalter von Jerusalem um die Bewilligung, einen Jahwe-Tempel zu bauen. Und da haben wir gleich die Antwort mit der Erlaubnis, ebenfalls in Aramäisch.“
Im Kontakt mit ihren Papyri sprüht die Forscherin vor Energie. Begeistert zeigt sie auf das der Tempelanfrage benachbarte Blatt: „Schauen Sie, das hier ist Demotisch, eine Kursivschrift des klassisch Ägyptischen. Da geht es um die Organisation der Priester des Chnum-Tempels, der sich nur wenige Meter neben besagtem Jahwe-Tempel befand.“ Die Texte stammen jeweils aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. und bezeugen einen religiösen Pluralismus – „mitten auf dem Nil, vor 2500 Jahren!“…