Philosophie Magazin, 29.06.2022
Oft wird angenommen, der Depressive lebe in derselben Welt wie alle anderen und sei nur ein bisschen trauriger. In Wirklichkeit, so weiß Christoph David Piorkowski aus eigener Erfahrung, verändert die Depression alles: Das Erleben von Zeit und Raum, Leiblichkeit und Beziehungen.
Mein Körper ein bleiernes, beschwerliches Ding, der Kopf ein stickiger Raum ohne Fenster, eine Luft, die sich anfühlt als atmete ich in eine pomadige Masse hinein. Häufig fallen die Worte mir zu, hier aber ringe ich nach ihnen. Es klafft ein Abgrund zwischen der Erfahrung und ihrer sprachlichen Repräsentation. Die Welt des Depressiven lässt sich kaum symbolisieren. Die Metaphern sehen blass und phrasenhaft aus, ab der Sekunde, da sie hingeschrieben sind. Trotzdem möchte ich den Versuch unternehmen, von der depressionsverheerten Innerlichkeit einen wenigstens ungefähren Eindruck zu geben – manche Bilder illustrieren dabei nicht nur die Erkenntnis, wie der Philosoph Hans Blumenberg erklärte. Sie sind, so unzulänglich sie erscheinen, doch auch deren Möglichkeitsbedingung. Was meint das nun eigentlich, wenn jemand sagt, er sei depressiv oder sie habe Depressionen?
Auch wenn Depressionen immer einzigartig sind, gibt es doch elementare Erfahrungen, etwa im Zeit- und im Körperverhältnis, die ein depressives Leben als solches strukturieren. Neulich las ich zum xten Mal den abgeschmackten Psychiater-Gemeinplatz, die depressive Welt unterscheide sich nicht wesentlich von jener, in der sich die Gesunden bewegten. Dem möchte ich – mit der Phänomenologie psychopathologischer Störungen als Gewährsdisziplin, nach vielen Gesprächen mit depressiven Menschen und aufgrund meiner eigenen Erfahrungen – vehement widersprechen. Depressive sind nicht einfach nur trauriger, antriebsärmer oder missmutiger als ihre gesünderen Mitbürger:innen. Der Unterschied betrifft deren Lebenswelt im Ganzen, wie der Philosoph Jannis Puhlmann betont, die Art und Weise, in die Welt gestellt zu sein, also wie das Bewusstsein das Weltmaterial – sich selbst dabei formend – konstituiert, ferner das, was man frei nach Martin Heidegger wohl die präintentionale Gestimmtheit nennen kann.
Die Differenz ist nicht bloß graduell – zur Trauer im allgemein-menschlichen Sinn etwa sind Depressive kaum fähig. Sie erleben die Welt und sich selbst in ihr auf eine andere Weise. Zeit, Raum und Zwischenmenschlichkeit funktionieren hier nach anderen Gesetzen. Wenn ich von meiner Depression berichte, will ich also jenseits des Irreduziblen auch etwas sagen, das über mich hinausweist: Vom Eigenen ausgehend möchte ich versuchen, eine Art allgemeine Sprache zu finden. Seit 25 Jahren bin ich...