Der Tagesspiegel, 20.01.2023
Seit Russlands Überfall auf die Ukraine wirken die Öffentlichkeiten des Westens, als seien sie aus einem geopolitischen Schlummer erwacht. Vermehrt wird ein Konflikt der Systeme diskutiert, eine weltumspannende Konfrontation zwischen Demokratie und Autoritarismus. Ganz oben auf der Liste autokratischer Staaten, die die liberal-demokratischen Gesellschaften unter Druck setzen, steht China. Dabei ist die vermeintliche Herausforderung durch das „chinesische Modell“ schon seit längerem Thema – nicht erst, seit man durch das Beispiel Ukraine mehr und mehr auch um Taiwan besorgt ist.
Zumindest bis zu Xis Null-Covid-Desaster äußerten westliche Politiker:innen zuweilen Sorgen vor der wachsenden Attraktivität einer hybriden polit-ökonomischen Struktur: Der chinesische Parteistaatskapitalismus, politisch repressiv, doch ökonomisch erfolgreich, inszenierte sich als hochpotente Alternative zur im Sinkflug befindlichen Demokratie. Der alte Mythos des Liberalismus, die Markwirtschaft bringe freie Bürger hervor, schien durch China als solcher entlarvt. Man staunte: die Einführung wirtschaftlicher Freiheiten im Land, brachte keine politischen Freiheiten hervor – und volkswirtschaftliche Prosperität kann auch in Autokratien gelingen.
Wie funktioniert das System der Volksrepublik – gibt es überhaupt ein „chinesisches Modell“ als Gegenprojekt zur liberalen Ordnung? Was hat sich unter Xi Jinpings Herrschaft verändert, auch im Verhältnis zur westlichen Welt? Und wie steht die chinesische Gesellschaft zum Regime?
Nachdem die Zweite Führungsgeneration der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) nach Maos Tod die Macht übernommen hatte...