Der Tagesspiegel, 08.02.2022
Herr Werse, laut Koalitionsvertrag will die neue Ampel-Regierung eine kontrollierte Abgabe von Cannabis legalisieren. Was heißt das konkret?
Offenbar ist keine halbherzige Lösung geplant, mit der die Konsumierenden bloß entkriminalisiert werden und der Verkauf geringer Mengen toleriert wird, ohne dass sich jemand – wie in Holland – darum schert, wo das Cannabis letztlich herkommt. Man hat die Absicht, alles zu regulieren: Vom Anbau über den Verkauf bis hin zum Besitz von Cannabisprodukten.
Deutschland wäre das erste Land in Europa, das über eine Entkriminalisierung hinaus auf eine echte Liberalisierung setzt.
Ja, bisher gibt es das nur in Kanada, Uruguay, und einigen Bundesstaaten der USA, mit jeweils unterschiedlichen Akzenten.
Welche messbaren gesellschaftlichen Folgen haben Entkriminalisierung und Liberalisierung in anderen Ländern?
In Ländern wie Tschechien und Spanien, in denen der Besitz geringer Mengen entkriminalisiert und der Anbau von bis zu drei Pflanzen erlaubt ist, gibt es kaum wahrnehmbare Auswirkungen. Hier wurde schon vorher relativ viel konsumiert, da sind die Zahlen dann eher nach unten gegangen. Auch in den Niederlanden, in denen man mit der Entkriminalisierung seit nunmehr vier Jahrzehnten Erfahrungen sammelt, hat sich das nicht groß auf den Konsum ausgewirkt. Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) hat vergleichend Länder betrachtet, die ihre Cannabis-Politik liberaler und solche, die sie restriktiver gestalten. Da konnte man keinen eindeutigen Zusammenhang mit dem Konsum feststellen.
Wie sieht es in den amerikanischen Ländern aus, die über eine bloße Entkriminalisierung hinaus gegangen sind?...