Der Tagesspiegel, 21.9.2018
Sozialstaatlich gegen marktradikal, fortschrittlich gegen rückwärtsgewandt, global gegen nationalistisch, erneuerbar gegen fossil: In jüngerer Zeit scheinen sich die Fronten auf diversen Feldern des Politischen zunehmend zu verhärten. Der Ton ist rauer geworden, die meisten Gesellschaften des sogenannten Westens sind in sich tief verstritten. Ein über das bessere Argument herbeigeführter Konsens scheint in Fragen der Ökologie, der Migration, der Sozialpolitik, ja der richtigen Lebensform insgesamt, eine märchenhafte Vorstellung zu sein. Nach der neuesten Studie des Meinungsforschungsinstituts Allensbach zum Stimmungsbild der „Generation Mitte“ beklagen 67 Prozent der 30- bis 59-jährigen Deutschen eine deutliche Schwächung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes. Dass sich der Deutsche Historikertag in diesem Jahr mit dem Topos „Gespaltene Gesellschaften“ befasst, ist denn auch alles andere als zufällig. An der Universität Münster tauschen sich rund 3500 Historiker und Historikerinnen vom morgigen Dienstag bis zum Freitag über gesellschaftliche Spaltungen und Spannungen in allen Epochen und auf allen Kontinenten aus. Zweifellos ist der Konflikt in Sachen Lebensführung kein Alleinstellungsmerkmal des 21. Jahrhunderts. Doch was kann die Geschichtswissenschaft zur aktuellen Debatte um den wachsenden Riss im sozio-politischen Gefüge beitragen?...