Der Tagesspiegel, 20.09.2022
Die Berliner Kognitionsforscherin Monika Schwarz-Friesel zeigt, wie Judenhass seit Jahrhunderten das Denken und Fühlen zahlreicher Gesellschaften prägt.
Was als antisemitisch gelte, variiere von Gesellschaft zu Gesellschaft: Diese relativistische These wurde auch in der Debatte um die jüngste Documenta mehrfach formuliert, um den Vorwurf abzutun, hier würde offener Antisemitismus verbreitet. Man habe erkannt, dass die Bildsprache des Kunstwerks „People‘s Justice“ im historischen Kontext Deutschlands eine besondere Bedeutung erhalte und bedauere, Menschen beleidigt zu haben, erklärte etwa das indonesische Künstler- und Aktivistenkollektiv Taring Padi nach der heftigen Kritik an seinem Bild. Auf diesem war unter anderem ein schweinsgesichtiger Soldat mit Davidstern und dem Schriftzug „Mossad“ auf dem Helm dargestellt, ferner ein vampirisch anmutender Mann mit Schläfenlocken, den chassidischen Pejes, auf dessen Hut silberne SS-Runen prangen.
Erklärungen wie die des Kollektivs insinuieren, Judenhass sei eine Befindlichkeitsfrage: Es gebe keinen genuinen Antisemitismus, dieser sei ein relatives Phänomen. Der Subtext des wohlfeilen Pseudo-Pardons: Die Deutschen sind wegen der Geschichte hysterisch – was sie als antisemisch empfinden, nennen wir antikolonialen Aktivismus.
Dass der Antisemitismus ein klar umrissener Phänomenbereich ist und die Forschung seit vielen Jahren ein recht eindeutiges Bild davon hat, was antisemitisch ist und was nicht, zeigt die Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel...