Der Tagesspiegel, 14.8.2015
Drei Kontrollposten muss man passieren, vorbei an sonnenbebrillten Sicherheitsleuten und Schweizer Gardisten in schmucken Uniformen, um ins materialisierte Gedächtnis der katholischen Kirche zu gelangen. Für eine Stunde öffnet das Vatikanische Geheimarchiv den Teilnehmern der vom Deutschen Historischen Institut (DHI) in Rom veranstalteten Ablasstagung seine Pforten. Ganz so opulent wie in der Dan-Brown-Verfilmung „Illuminati“ kommen die Räumlichkeiten zwar nicht daher, dennoch: Ehrfurchtsvoll ist man schon, im Angesicht von 85 Regalkilometern Schriftbestand und der im Lesesaal eigens für die internationale Crème de la Crème der Mediävistik ausgebreiteten mittelalterlichen Schriftstücke.
Im Schatten eines ausgezehrten Christus am Kreuz, der die Szenerie zu überwachen scheint, stehen die Historiker vor dem berühmten Wormser Edikt – jenem Erlass, mit dem Kaiser Karl V. im Jahr 1521 über den Reformator Martin Luther die Reichsacht verhängte.
Die jüngst stattgefundene Tagung „Ablasskampagnen des Spätmittelalters – Martin Luther und der Ablassstreit von 1517“ blickte denn auch schon auf das Ende der Lutherdekade. 2017 wird es 500 Jahre her sein, dass Luther seine 95 Thesen gegen die Ablasspraxis der Kirche in Umlauf und damit die Reformation derselben in Gang gebracht hat…