Der Tagesspiegel, 27.1.2020
Der Schriftsteller und Holocaustüberlebende Elie Wiesel sagte einmal, ein Roman über Auschwitz sei entweder kein Roman oder er handele nicht von Auschwitz. Jedes Bemühen, die Welt der Konzentrations- und Vernichtungslager mit literarischen Mitteln zu ergründen, müsse am Gegenstand notwendig scheitern.
Die unvorstellbare Erfahrung der Schoah, so sahen es viele Überlebende, ist in das Symbolsystem der Sprache schlichtweg nicht zu übersetzen. Die Erzählung ist immer ein dürftiges Zerrbild dessen, was wirklich gewesen ist.
Und doch haben sich zahlreiche Autorinnen und Autoren in immer neuen Anläufen darum bemüht, die von ihnen durchlebte Hölle zu beschreiben. Der ungarisch-jüdische Schriftsteller Imre Kertész erklärte sogar, vom größten Verbrechen, das Menschen jemals an Menschen verübt haben, sei nur in Form eines Romans zu berichten. Denn naturgemäß wird die geschichtswissenschaftliche Darstellung, die die Ebene der subjektiven Wahrnehmung ausblendet und sich auf bloße Fakten konzentriert, der „Lebenswelt“ der Opfer noch weniger gerecht.
75 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee sind nicht mehr viele Zeitzeugen am Leben. Wer kann uns noch vom Zivilisationsbruch erzählen, wenn dessen Zeugen verstummt sein werden – zumal in einer Zeit, in der jüngere Leute immer weniger vom Holocaust wissen?...