Philosophie Magazin, 07.09.2023
Eins, Sieben, Zwei, Drei, Sechs, Vier. Die Nummer ist in Jean Amérys Grabstein gemeißelt, so wie sie in Hans Mayers Haut tätowiert war. 1912 in Wien geboren, galt der katholisch sozialisierte Mayer seit den Nürnberger Rassengesetzen als Jude. Von den Nazis gefoltert und nach Auschwitz deportiert, schien ihm der deutsche Name nach der Befreiung nicht mehr tragbar. Seiner Heimat Österreich für immer entfremdet, lebte er fortan im Brüsseler Exil und benannte sich um in Jean Améry.
Dem Namen konnte er entrinnen, der Nummer, zu der man ihn gemacht hatte, nicht. Nicht dem, was sie bedeutete: als, wie er es nannte, „Katastrophenjude“ in die Welt gestellt zu sein. Auch nicht seinem Leib, in den die Folter durch die Nazis als unsichtbare Wunde eingebrannt blieb. Und der zum Sarkophag der Vergangenheit wurde, zum Speicher der Erinnerung an eine Zeit, da Menschen jede Menschlichkeit zerstört hatten. Bis zu seinem Freitod 1978 lebte Jean Améry in einer doppelten Heimatlosigkeit: in der deutschen Kultur, aus der die Deutschen ihn verbannt hatten, und in einer jüdischen Nichtidentität, die er trotzig als sein Schicksal akzeptierte.
Sein existenziell-philosophisches Projekt ist der Versuch, die besondere Erfahrung des Gequälten ins Gedächtnis einer Zivilisation einzumeißeln, die nach dem Krieg versucht, den Bruch mit sich selbst im Aufbruch nach morgen vergessen zu machen. Er möchte die partikulare Perspektive davor bewahren, im Allgemeinen zu verschwinden. Das Bewusstsein von zu Außenseitern Verdammten soll im dialektischen Epos der Geschichte mehr als eine bloße Fußnote sein. Abstrakten Theorien, die von der gelebten Erfahrung des Einzelnen absehen, wird Jean Améry bis zu seinem Tod misstrauen...