tip, 29.8.2013
„Kohle machen mit Musik, das ist eigentlich der Plan“, sagt Bennie Heps, 28 Jahre alt, Vater einer vierjährigen Tochter, Sänger und Gitarrist von Black Mistake – einer Band, die ihren eigenen Stil geprägt hat, irgendwo zwischen Folk und Punk, unkonventionell und gefällig, mit rotziger Attitüde und Whiskey-Pathos. „Wir bedienen uns natürlich da, wo wir herkommen“, sagt Bennie. „In Sachen Folk können die Pogues als Einfluss benannt werden, Punk ist vielleicht eher unser Umgang mit Musik ganz allgemein.“ Black Mistake wurden vor zwei Jahren von Bennie Heps und Hannes Greve gegründet. Beide stammen aus Schöneberg, haben vorher in der Deutschpunkband Vizediktator gespielt und sind schließlich auf Akustikgitarren umgestiegen. Lead- und Rhythmusgitarre wurden inzwischen durch Bass und Schlagzeug komplettiert. Black Mistake haben sich durch die Berliner Kneipen hindurch und aus dem untersten Segment der Musikszene, den Nullverdienern, herausgespielt. Und doch reichen die Gagen, die sie kassieren, nicht einmal, um die laufenden Kosten zu decken. „Du gehst vielleicht mal mit einem Taschengeld nach Hause“, sagt Hannes Greve, „aber im Grunde zahlst du drauf.“
Wie kann es sein, dass Musiker, die kein Engagement auslassen und zudem wirklich gut sind, Jobs machen müssen, um einen anderen Job – nämlich das Musikmachen – zu finanzieren? Zwei Singles haben sie rausgebracht, eine auf Vinyl, die andere auf CD, alles in Eigenregie, bald kommt die erste EP, irgendwann vielleicht ein Album – wenn man es sich denn leisten kann. Plattenverkäufe sind ja ohnehin nicht rentabel, aber eine Band, die von Club-Betreibern in Berlin nicht als High-Class-Act gehandelt wird, kassiert eben auch in jenem Bereich, in dem Musiker heute eigentlich verdienen sollen, dem Auftritts-Segment, nur marginale Gagen. Zudem haben die Clubs ihre ureigene Aufgabe, die Promo, meist an den Künstler delegiert. Bennie Heps ist der Auffassung, dass mittelmäßige und schlechte Bands den Markt kaputt machen, dass der Berlin-Hype die Stadt mit Kreativen und Halbkreativen überschwemmt hat, die ihren „Singer-Songwriter-Scheiß auspacken“ und mit „’nem Appel und ’nem Ei“ zufrieden sind. Zudem bekommen in der vom musikalischen Overkill geprägten Kapitale eher jene Künstler einen Laden voll, die vom Exotenbonus profitieren. „Wenn da zum Beispiel Ricardo Rodriguez (Spain) auf der Tafel steht, zieht das die Leute an, bei Black Mistake (Berlin) sieht die Sache anders aus.“ Aber so war es schließlich schon immer, der Prophet gilt nichts im eigenen Land, und wenn sie als Berliner Punk-Band früher in Kleinstädten spielten, dann erlebten sie eine für jeden Großstadt-Act dankbare Provinzjugend.
Eine ähnliche Erfahrung macht auch der gebürtige Chilene Boris Israel Fernandez immer wieder: Wenn er in der Provinz spielt, gehen die Leute entweder ganz ab oder gar nicht; die aufgeschlossen-gelangweilte Schizophrenie des satten Großstädters, die sich meist in verhaltenem Wippen artikuliert, sucht man dort vergeblich. Boris Israel, dessen deutsch-jüdischer Großvater während des Zweiten Weltkrieges nach Südamerika emigrierte, kann, anders als Black Mistake, durchaus leben von der Musik – allerdings ist er auch Schlagzeuger in insgesamt acht verschiedenen Bands; unter anderem in der russischen Surf-Band Messer Chups und bei Los Twang Marvels, einer Leipziger Band, die ausschließlich aus Argentiniern und Chilenen besteht, außerdem bei Bang!Mustang! und The Rob Ryan Roadshow. Boris ist ständig auf Tour, gestern war er noch in Frankreich, heute ist er einen Tag lang in Berlin, gibt auf gepackten Koffern ein Interview, morgen geht es nach Italien. Er findet es zwar gut, dass Bund und Länder hier auch Künstlerförderung betreiben, so etwas gebe es in Chile nicht, aber die Gagen in den Clubs findet auch er äußerst dürftig. In Berlin zu leben, sei für Musiker ambivalent: Es gebe hier so viele gute Leute, Konkurrenz belebe das Geschäft, die Stadt lasse einem Raum, sich zu entfalten; nur das Finanzielle sei eben ein Problem. Auch Boris Israel hat die Erfahrung gemacht, dass eine Berliner Band in Berlin schlecht, in anderen Städten dafür umso besser verdienen kann.
Jonathan Hamnett aus Manchester lebt seit vier Jahren in Berlin und schimpft wie die anderen auf schlechte Gagen. Er macht „die Bar-Industrie“ dafür verantwortlich, aber auch die Generation der heute 20- bis 35-Jährigen, die viel zu viel umsonst machten und sich vor allem in der Kreativszene – von der Musik bis zum Freien Journalismus – mit dürftigen Gehältern abspeisen ließen. Als wäre die Auftritts-Möglichkeit als solche oder der eigene Name unterm Text schon Entlohnung genug. Jonathan hat darauf mit einer Art des Musikmachens reagiert, die man in England „Busking“ nennt. Er und sein Partner spielen sogenannte Guerilla-Gigs vor und in Restaurants oder Cafйs; oft fragen sie nicht, sondern zwingen dem Publikum ihre Leistung regelrecht auf. „Wenn du das aber richtig machst“, sagt Jonathan, „wenn du kleidungsmäßig präsentabel bist und mit Kontrabass und Gitarre in guten Etablissements spielst, dann kannst du wirklich gut verdienen“. Jonathan hat lange mehr oder weniger vom Busking gelebt; nachdem er und sein Kollege sich einen Namen gemacht hatten, war eine Struktur da, auf die man fortan rekurrieren konnte. Inzwischen gärtnert er nebenher. Und mit den Guerilla-Gigs, die er mehr als Arbeit denn als Vergnügen begreift, schafft er sich die Freiheit, ohne finanziellen Druck an seinem Singer-Songwriter-Soloprojekt zu werkeln.
Benny Lackner ist 37, ursprünglich aus Wilmersdorf – wohin es in den 70ern seinen amerikanischen Vater verschlagen hatte –, aber schon als Kind mit seinen Eltern nach Kalifornien gezogen. Er hat Musik in L.A. studiert und dann zehn Jahre als Jazz-Pianist in New York gelebt. Inzwischen ist er wieder in Berlin, spielt regelmäßig im b-flat und im A-Train, zwei Clubs, die, anders als andere Jazz-Lokalitäten, immerhin noch Annoncen in Magazinen schalten. Die Erfahrung, dass der Prophet im eigenen Land zumindest weniger gilt als in der Fremde, hat auch Benny Lackner gemacht. Seitdem er in Berlin lebt, bekommt er für die gleiche Leistung in denselben Läden weniger Geld als in jener Zeit, in der er als New-York-Act angekündigt war. Benny Lackner kann von Musik zwar leben, aber das eigene Projekt muss er durch Klavierunterricht flankieren, um wirklich über die Runden zu kommen.
Auch wenn die Gagen in New York wohl besser waren – wenigstens sind in Berlin die Lebenshaltungskosten noch relativ niedrig. Doch wie man weiß, ändert sich das beständig, und sowohl Benny Lackner als auch Bennie Heps von Black Mistake äußern halb-ernst, man sollte eigentlich nach Osteuropa ziehen. „Da ist noch nicht überall alles gentrifiziert, und die Leute haben noch Bock auf Musik“, sagt Heps, wirft einen Blick auf seine Tattoos, die aussehen, als hätte sie ihm seine vierjährige Tochter gestochen, und ergänzt: „Aber egal, am Ende bleiben wir ja sowieso hier. Wir müssen uns eben noch mehr anstrengen als bisher.“ Schließlich geht es ja, auch wenn man viel Geld braucht, um ein Projekt zu stemmen, noch immer um Leidenschaft – und das bei allen hier zu Wort gekommenen Künstlern, die sich auch in der Gosse noch mit Verve der schönsten Sache der Welt widmen würden: eben der Musik.