tip, 19.8.2015
„Eigentlich“, sagt Mille*, „würde ich es lieber nicht machen müssen. Es ist ja schon ein Eingriff in die Privatsphäre, außerdem ist es illegal.“ Mille, 32, ist Künstlerin, vor zehn Jahren kam sie nach Berlin, um an der UdK zu studieren. „Mein Beruf bringt es mit sich, dass ich viel reisen muss“, sagt sie, „gleichzeitig verdiene ich sehr wenig Geld. Wenn ich irgendwo anders eine Ausstellung habe, bin ich gezwungen, meine Wohnung unterzuvermieten.“
So wie Mille geht es vielen in Berlin, die im weitesten Sinne Kunst machen, an zeitverschlingenden Projekten arbeiten, die in der Szene viel Prestige und im Leben wenig Kohle bringen. Also inseriert die finanzschwache Kunst-Boheme die eigene Wohnung – oder wenigstens einen Teil davon – auf einschlägigen Portalen wie Wimdu oder Airbnb. „Ich kenne viele Leute, die übers Internet Wohnraum vermieten“, sagt Mille, „bei den freien Künstlern, mit denen ich befreundet bin, ist Untervermietung die Regel, nicht die Ausnahme.“
Ein bemerkenswerter Satz, wenn man bedenkt, dass die Kurzzeitvermietung auch Ärger bedeuten kann. Nicht nur, dass jede einzelne Untervermietung von der Hausverwaltung genehmigt werden müsste – wobei die fristlose Kündigung droht, wenn man wie Mille und ihre Freunde die Vermieter im Dunkeln lässt. Seit Mai 2014 setzt der Senat zudem ein Zweckentfremdungsverbot-Gesetz um, das die Kurzzeitvermietung von regulären Wohnungen und Zimmern verbietet und von dem bei regelmäßiger „Zweckentfremdung“ – wenigstens theoretisch – auch die kleinsten Fische betroffen sind. Jemand wie Mille also, die ihre Einzimmerwohnung in Wilmersdorf jedes Mal als Ferienwohnung feilbietet, wenn sie berufsbedingt im Ausland weilt.
Auch die 29-jährige Franzi ist Künstlerin, auch sie inseriert bei Airbnb. Anders als Mille bewirtschaftet sie ihre Wohnung allerdings dauerhaft. Vor ein paar Jahren zog sie mit ihrem Freund in eine große Altbauwohnung an der Sonnenallee. Als die Beziehung zerbrach und der Freund sich aus dem Staub machte, hatte Franzi auf einmal jede Menge Platz. Seither geben sich Touristen auf der Suche nach dem wahren Berlin-Gefühl in einem der drei Zimmer die Klinke in die Hand.
„Das ist eine gute Einnahmequelle„, sagt Franzi, „und ich muss bloß ab und an ein bisschen sauber machen. Von der Kunst kann ich nicht leben und Berlin wird so gehypt, dass ich fast ständig ausgebucht bin.“ Genau wie Mille hält Franzi den Pro-Nacht-Preis relativ niedrig, dem Ethos der Sharing Economy fühlt sie sich verpflichtet, die Leute sollen auf jeden Fall weniger zahlen als im Hotel. Gleichzeitig macht Franzi aber keinen Hehl daraus, dass es ihr vorrangig ums Geld geht. „Man macht das ja jetzt nicht, weil man mega Bock hat, mit coolen Schweden rumzuhängen, sondern erst mal wegen der Kohle.“
Des Geldes wegen hat auch die 50-jährige Künstlerin Karin vor ein paar Jahren damit begonnen, auf diversen Sharing-Economy-Plattformen Wohnraum zu bewerben. Lange sei es gut gegangen mit der Kunst, große Projekte im Akkord, sagt sie, sogar eine Wohnung habe sie sich kaufen können. „Ich gehörte zu den drei Prozent, die von ihrer Arbeit ordentlich leben konnten, aber ich bin keine Beamtin, das Geld kommt bei mir nicht aus der Steckdose.“ Ihr Eigentum hat sie zur Ferienwohnung umgestaltet, sie selbst wohnt zur Miete, anderswo. „Ich brauche das zum Leben“, sagt sie, „wenn ich die Wohnung nicht hätte, müsste ich Hartz IV beantragen.“
Über das Zweckentfremdungsverbot macht Karin sich keine Sorgen. Eine einzige Wohnung zu vermieten gelte doch wohl als Bagatelle. Auf keinen Fall sieht sie sich als Teil jener Ferienwohnungs-Industrie, die über Airbnb und ähnliche Portale den Mietmarkt korrumpiert. Große Firmen mit großem Kapital, die ganze Straßen dem regulären Markt entwinden, wodurch besonders in den angesagten Kiezen die Mieten explodieren, ganze Viertel zum Touristenresidenzen werden, die angestammte Klientel sich ins Exil flüchtet. Sie sehe es ja durchaus ein, meint Karin, wenn die Politik in der Branche kommerzielle Strukturen und Schattenwirtschaft verhindern wolle, sie als Privatperson könne mit ihrem Eigentum wohl aber machen, was sie wolle.
Derselben Meinung ist Corinna, Mitte 60, die sich vor Jahrzehnten als Schauspielerin in westdeutschen Arthouse-Filmen verdingte, sich heute als Autorin versteht und inzwischen vom Vermieten lebt. Denn da Autoren in der Regel wenig verdienen, kaufte sie sich von ihrem mütterlichen Erbe sechs Eigentumswohnungen in Prenzlauer Berg. Viel Geld habe sie aufgewendet, um diese zu Ferienappartments umzugestalten. Was sie nächstes Jahr mache, wenn die im Zweckentfremdungsverbot-Gesetz integrierte Übergangsfrist auslaufe, könne sie jetzt noch nicht sagen, auf keinen Fall aber wolle sie regulär vermieten. Hinter dem Gesetz wittert Corinna die etablierte Hotellerie, deren Lobby Einfluss auf den Senat genommen habe, um ihren durch Airbnb bedrängten Markt zu beschützen.
Das Verbot allerdings hat es schon einmal gegeben, lange vor Airbnb; es wurde in den Nullerjahren aber gekippt, weil man meinte, dem Land Berlin stünde mehr als genug Wohnraum zur Verfügung. Zehn Jahre später sieht die Lage wieder anders aus, was wohl jeder bestätigen kann, der sich in letzter Zeit bei Wohnungsbesichtigungen in lange Schlangen gereiht hat. Insofern besteht auch abseits der Hotel-Lobby ein Interesse am Verbot von Zweckentfremdung im großen Stil.
Die Dienstleistung, die Airbnb offeriert, ist wie viele Netz-Technologien schlicht indifferent. Sie kann einem gewinnorientierten Unternehmen dazu dienen, durch Kurzzeitvermietung hohe Gewinne zu erzielen und mittelbar katastrophalen Einfluss auf den Mietmarkt ausüben. Sie kann jedoch auch dazu verwendet werden, finanzschwache Künstler wie Mille und Franzi über Wasser zu halten.
* alle Namen von der Redaktion geändert