tip, 29.1.2014
Kein Wort dringt durch die Glasscheibe am Flughafen, die den in Paris ankommenden Ahmad von seiner Noch-Ehefrau Marie trennt. Doch das Mienenspiel ist ein zutiefst vertrautes, auch wenn man sich seit vier Jahren nicht gesehen hat. Die Wand aus Glas ermöglicht ein sprachloses Verständnis, ist aber zugleich ein Bild für die Mauer, die die Zeit zwischen den einst innig Verbundenen aufgetürmt hat.
Schon die Eingangsszene von Asghar Farhadis neuem Film „Le Passé – Das Vergangene“ wirft ein Schlaglicht auf das, was bereits Gegenstand seiner mit Silbernem bzw. Goldenem Bären prämierten Filme „Alles über Elly“ und „Nader und Simin – Eine Trennung“ war: ein zwischenmenschliches Gestrüpp, das sich immer weiter verästelt, ein würgender gordischer Knoten, der sich durch keinen noch so beherzten Hieb endgültig auflösen ließe.
Die sozialpsychologisch komplexen Situationen, in die die Charaktere von Farhadis beiden Vorgängerfilmen gestellt waren, ereigneten sich noch vor dem Hintergrund der von allen Beteiligten internalisierten iranischen Alltagskultur. „Le Passé“ ist nun sein erster außerhalb seines Herkunftslandes angesiedelter Film. Erzählt wird in einem französisch-arabisch-iranischen Patchwork vor Pariser Kulisse eine allgemein menschliche Geschichte, in deren Ausweglosigkeit spezifische Mentalitäten keine große Rolle spielen.
Ahmad kommt also in Paris an, die letzten vier Jahre hat er in seiner Heimatstadt Teheran verbracht. Seine Frau will einen Schlussstrich unter die gescheiterte Ehe ziehen und Ahmad wird in jenem Vorstadthaus einquartiert, das er jahrelang mit Marie und deren beiden Töchtern bewohnt hat, bevor ihn Unrast und Depression schließlich zum Gehen bewegten.
Doch das institutionelle Siegel der Trennung ist nicht der einzige Grund, aus dem Marie ihn nach Paris gebeten hat. Längst ist sie mit einem neuen Mann liiert, der jedoch von ihrer älteren Tochter Lucie nicht akzeptiert wird. Der besonnene Ahmad soll das frostige Mutter-Tochter-Verhältnis enteisen. Die Mediation gestaltet sich schwierig, und Samir, der Neue, der mit seinem Sohn Fouad ebenfalls im Haus wohnt, ist von der Anwesenheit seines Vorgängers nur wenig begeistert.
Erwuchsen die Probleme in „Nader und Simin“ aus dem, was die Figuren im Verlauf der gezeigten Handlung taten, ist es in „Le Passé“ vornehmlich die indirekt vermittelte Vergangenheit, die in die Gegenwart hineinwirkt und die Charaktere davon abhält, sich unbefangen einer offenen Zukunft zuzuwenden.
Die komplexen Figuren überzeugen in dieser meisterhaft komponierten Geschichte bis ins letzte Detail. Allein die Gesichter von Bérénice Bejo (die für „Le Passé“ in Cannes als beste Darstellerin geehrt wurde), Ali Mosaffa und Tahar Rahim (der schon in Jacques Audiards „Ein Prophet“ glänzte) erzählen ganze Romane.