tip, 6.1.2016
Wie verwindet man das Vergehen der großen Liebe, den Niedergang des existentiellen Traums, den Tod der wichtigsten Bezugsperson im Leben? Alle drei Filme des jungen norwegischen Regisseurs Joachim Trier sind poetische Reflexionen über die Janusköpfigkeit der Erinnerung, über die Lust und den Schmerz, die mit dem Vermögen einhergehen, sich selbst seine eigene Geschichte zu erzählen.
In Triers brillantem Debüt „Auf Anfang“ (2006) versucht der junge Schriftsteller Philipp seine Beziehung von gestern in der Gegenwart eins zu eins nachzubauen. Doch das Leben hat sich längst bewegt, die Mimesis ans geschönte Gestern mündet in die Katastrophe. In seinem zweiten Film „Oslo, 31. August“ – genau wie Louis Malles „Das Irrlicht“ eine lose Adaption von Pierre Drieu La Rochelles Roman „Le feu follet“ – versucht sich ein in der eigenen Biografie gestrandeter Mittdreißiger an den Quell der früheren Vitalität zu erinnern und merkt nach einer Entziehungskur, dass er nicht einfach da weitermachen kann, wo er vor der Drogensucht aufgehört hatte. In seinem aktuellen Film „Louder Than Bombs“ nun sind ein Vater und seine beiden Söhne mit den Bildern konfrontiert, die sie sich auf ihre je eigene Weise, von der bei einem Autounfall verstorbenen Ehefrau und Mutter (eindrücklich gespielt von Isabelle Huppert) gemacht haben. Wer war diese ominöse Frau, die sich als Kriegsfotografin verdingte? Starb sie wirklich durch einen Unfall oder hatte ihre offenbare Todessehnsucht in der entscheidenden ?Sekunde nachgeholfen?
„Ich bin besessen vom Thema Erinnerung, fasziniert von den verschiedenen Schichten der Zeit„, sagt Trier, „die Melancholie unserer Existenz liegt doch vor allem darin begründet, dass wir gezwungen sind, vorwärts zu gehen, während wir ständig zurückblicken. Die süße Verbundenheit mit dem Vergangenen, welches wir unbedingt loslassen müssen – das ist mein großes Thema.“
Die Ambivalenz, die der Erinnerung innewohnt, spiegelt sich bei Trier jedoch auch in der Erzählweise, in der Sprache und im Habitus seiner Protagonisten; außerdem in der Form: in der Komposition seiner Bilder und im Patchwork der Stile.
In „Auf Anfang“ entwickelt Philipp eine Psychose, die Figur in „Oslo, 31. August“ ist von Anbeginn ein Selbstmörder, der pubertäre Sohn in „Louder Than Bombs“ flüchtet vor dem Tod der Mutter und der Hilflosigkeit des Vaters in die leeren Weiten des Internets. Und doch: Diese eigentlich bedrückenden Settings sind von einem feinen und intelligenten Humor durchwoben, der niemals aufgesetzt wirkt, vielmehr im Tragischen selbst sein eigentliches Futter findet. So wirken alle Filme des 41-Jährigen leicht und schwer, hell und dunkel zur selben Zeit.
„Ich war immer interessiert an der Perspektive des Außenseiters„, sagt Trier, „an den Nachtseiten des Lebens. Wir brauchen aber auch eine ordentliche Portion Selbstironie. Ohne Galgenhumor sind wir verloren.“
Nicht von ungefähr nennt der gebürtige Osloer neben Ingmar Bergman und anderen europäischen Kinogrößen auch Woody Allen als prägenden Einfluss. Joachim Trier gelingt ein Spagat, den nur wenige Regisseure und Autoren hinbekommen. Stilistisch gesehen bedeutet das auch, dass sich zum Beispiel Nouvelle-Vague-Techniken wie Voice-Over mit poppigen Elementen mischen. Der Stilbruch – Trier selbst spricht von „Dirty Formalism“ – wirkt dabei keineswegs wie ästhetisches Flickwerk, der Regisseur entwickelt vielmehr eine unverwechselbare Bildsprache. Diese ist auch im neuen Film zu bewundern, gleichwohl dieser anders als die ersten beiden auf Englisch und vorwiegend mit amerikanischen Schauspielern gedreht wurde.
Die Verlagerung in die Staaten ist indes nicht der einzige Unterschied zu Triers Vorgängerfilmen. Diese behandelten die Entfremdung und den Identitätskampf seiner Generation, die Hölle des Erwachsenwerdens in der Spätmoderne, und verwiesen damit vornehmlich auf die Querelen der Adoleszenz. Sein neuer Film erzählt hingegen, wie drei Generationen mehr oder weniger erfolglos versuchen zu kommunizieren, um ihre Bilder von der Verstorbenen miteinander in Einklang zu bringen. Nach dem schrecklichen Ereignis bemüht sich der Vater um ein gemeinsames Sprachspiel mit seinen beiden Söhnen, die ihrerseits – sowohl was das Alter als auch ihren Umgang mit dem Schmerz anbelangt – ziemlich weit auseinanderliegen. Bei dem Versuch, seinen Jüngsten zu erreichen, taucht der von Gabriel Byrne gespielte Vater zuletzt gar in die digitale Rollenspielwelt des Jungen ein, nur um von dessen Avatar umgehend brutal enthauptet zu werden.
„Louder Than Bombs“ ist durch die gleiche Sensibilität geprägt, wie „Auf Anfang“ und „Oslo, 31. August“. Allerdings wirkt der Film an manchen Stellen dramaturgisch zu ambitioniert. Das Ineinander der Zeitebenen, die narrative Verschachtelung sorgen mitunter für Verwirrung. Letztlich spielt das aber keine Rolle. Auch der „amerikanische Film“ von Joachim Trier ist eine Perle. Dennoch freut man sich darüber, dass sein nächstes Projekt, wie er sagt, wieder eine komplett norwegische Geschichte sein wird.