Süddeutsche Zeitung, 17.1.2013
In Margarethe von Trottas Film „Hannah Arendt“ erlebt der Zuschauer die Passion einer starken Frau, die sich wie ein Fels in der Brandung mit dem zwanglosen Zwang des besseren Argumentes gegen den auf sie hereinbrechenden Shitstorm behauptet. Die durchaus berechtigten Einwände, die seit der ersten Veröffentlichung ihres Eichmann-in-Jerusalem-Reports gegen die Großthese von der „Banalität des Bösen“ formuliert wurden, heftet der Film an ein Tableau, das vom Missverständnis bis zur Missgunst allerhand Beweggründe aufbietet. Da sich von Trotta konsequent auf die Seite der portraitierten Heldin schlägt und große Figuren der europäischen Geistesgeschichte wie Hans Jonas unter ihrer Feder als hysterische Schreihälse daherkommen, erfährt der Zuschauer die Kritik an Hannah Arendt als unzulässige Diffamierung.
Nun ist die Forschung aber längst auf dem Stand, in Adolf Eichmann, dem Spediteur der Massenvernichtung der europäischen Juden, mehr zu sehen als einen beflissenen Schreibtischtäter, einen Mann ohne Eigenschaften, der sich jeder beliebigen Ideologie gewissenlos empfohlen hätte. So dekonstruiert der Holocaust-Forscher David Cesarani in seiner umfassenden Eichmann-Biographie den Mythos vom emotional unbeteiligten Apparatschik und weist dem Leiter des Judenreferates einen fanatischen Antisemitismus nach, der im Verlauf seiner Tätigkeit immer umfassendere Formen annahm. Eichmann war kein reiner Schreibtischtäter, er inspizierte vielmehr alle großen Konzentrationslager, um die industrialisierte Tötungsmaschinerie zu optimieren, schickte noch Juden ins Gas als Heinrich Himmlers Prioritäten längst woanders lagen und äußerte gegenüber seinem ehemaligen SS-Kollegen Helmuth Sassen, er sei alles andere als ein „normaler Befehlsempfänger“ gewesen. Warum ließ sich Hannah Arend in Jerusalem von der kalkulierten Maskerade des fanatischen Massenmörders Eichmann hinters Licht führen? Warum identifizierte sie die Motivation mit der lächerlichen Erscheinung, das Böse mit der Hanswurstiade eines Menschen, der sich lediglich klein machte, um dem Galgen zu entgehen? Nun geht selbst dem vermeintlich objektivsten Wissenschaftler stets der Dilettant voraus, und Hannah Arend gruppierte das empirische Material um einen vorformulierten Wunsch, das heißt sie erschuf sich ihren eigenen Eichmann so, wie sie ihn haben wollte. Im Film allerdings scheint ihre Interpretation über jeden Zweifel erhaben. Von Trotta macht sich nicht die Mühe die Einwände zu prüfen.
Der stellvertretene israelische Generalstaatsanwalt Gabriel Bach erzählte anlässlich des 50jährigen Jubiläums der Eichmann-Verurteilung in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur, Hannah Arend habe schon vor dem Prozess vorgehabt, gegen dessen Legitimität anzuschreiben. Sie hat demnach bewusst jene Akten ignoriert, die ihre eigene These untergruben. Hannah Arend war schlicht von der Intention geleitet, aus einer Gerichtsverhandlung ein philosophisches Traktat zu destillieren. Wenn sie schreibt, bei Eichmann habe das Denken versagt und zugleich immer wieder auf der Möglichkeit frei-willentlicher Entscheidung insistiert, zeigt sich ihre an Kant geschulte Vorstellung einer „praktischen Vernunft“. Prinzipiell hätte Eichmann also die Möglichkeit gehabt, sich für die Pflicht zu ethischem Handeln zu entscheiden, aber seine führerdevote Neigung zum Gehorsam priorisiert. Tatsächlich verteidigte sich Eichmann in Jerusalem gerade mit Verweis auf den kategorischen Imperativ. Entgegen seiner „Neigung“ im Juden den Menschen zu sehen, habe er der „Pflicht“ des Führerbefehls gehorcht. In Wahrheit fielen bei Eichmann „Pflicht“ und „Neigung“ zusammen. Das, was er als seine Profession empfand – nämlich die Vernichtung des Judentums – koinzidierte mit dem, was qua Befehl seine Aufgabe war.
In jedem Fall ist es Hannah Arendts Verdienst, mit dem Schreibtischtäter eine neue Figur des Bösen formuliert zu haben. Nur im Hinblick auf Eichmann ging sie damit leider in die Irre. Sie hätte aber die Möglichkeit gehabt, ihren Irrtum zu erkennen. Im Hinblick auf Margarethe von Trotta gilt das nach über 50 Jahren „Eichmann in Jerusalem“ natürlich sowieso.