Der Tagesspiegel, 18.12.2020
Der Wissenschafts- und Aktionstag „#4GenderStudies“ legt den Fokus in diesem Jahr auf „Intersektionen“, also die Wechselwirkung verschiedener Diskriminierungstypen. Inwiefern bedingt das Zusammenspiel von „gender“, „race“ und „class“ eine spezifische Unterdrückungserfahrung?
Das würde ich gerne an einem historischen Beispiel der Arbeitssituation von schwarzen Frauen aus der Arbeiter*innenklasse erklären – dem Ursprungsereignis der Intersektionalitätstheorie. In den 1970er-Jahren klagten fünf Schwarze Frauen in St. Louis gegen ihre ehemalige Arbeitgeberin General Motors. Die Firmenpolitik von GM lautete damals: last hired, first fired – zuletzt eingestellt, zuerst gefeuert. Schwarze weibliche Beschäftigte, die erst spät im Betrieb angestellt wurden, waren dabei überproportional häufig von betrieblich bedingten Kündigungen betroffen. Ihre Antidiskriminierungsklage wurde seinerzeit mit folgender Begründung zurückgewiesen: Eine rassistische Diskriminierung könne nicht festgestellt werden, schließlich arbeiteten bei GM auch mehrere Schwarze Männer am Fließband. Sexistische Diskriminierung sei hingegen nicht feststellbar, weil mehrere weiße Frauen im Sekretariatsbereich arbeiteten.
Eine als schwarze Frau markierte Person wird demnach nicht nur als Schwarze und nicht nur als Frau, sondern explizit als „schwarze Frau“ diskriminiert.
Richtig. Sie ist gleichzeitig von mindestens zwei Ausschließungsmustern betroffen. Der Beweis der Diskriminierung scheiterte vor Gericht an dem Umstand, dass die Klägerinnen durch mehr als eine politisch wirksame Differenz marginalisiert wurden. Die Klägerinnen waren weder ausschließlich als Frauen diskriminiert worden, noch ausschließlich als Schwarze Personen, sondern als rassistisch marginalisierte, weibliche Subjekte. Die intersektionale Perspektive zeigt nicht zuletzt auch die Schwächen eines auf eindimensionale Markierungen ausgelegten Antidiskriminierungsrechts auf und nimmt die besondere Situation mehrfachdiskriminierter Menschen in den Blick.
Die Bürgerrechtsbewegung in den USA wurde ursprünglich von schwarzen Männern, die feministische Bewegung von weißen Frauen der oberen Mittelklasse dominiert. Wann haben Arbeiterinnen of Color begonnen, auf die einseitige Ausrichtung emanzipatorischer Bewegungen aufmerksam zu machen?
Der Fokus auf marginalisierende Prozesse innerhalb diskriminierter Gruppen hat im emanzipatorischen Kampf eine lange Tradition. Es stimmt: Die Bürgerrechtsbewegung stellte charismatische männliche Figuren ins Zentrum, die feministische Bewegung machte die Lebensverhältnisse weißer heterosexueller Mittelschichtsfrauen zum Ausgangspunkt ihres Gerechtigkeitsdenkens. Mit der von Kimberlé Crenshaw begründeten Intersektionalitäts-Analyse wurden einander überlappende Unterdrückungsformen dann explizit zum Thema gemacht – seit den 90er-Jahren auch im deutschsprachigen Raum. Die eigentliche Antwort aber ist, dass solche Kämpfe schon immer geführt wurden. Subalterne Kollektive und Individuen sind bloß weniger sichtbar, als jene Akteur*innen, die zumindest in Teilen einen privilegierten Zugang zur Öffentlichkeit haben...