tip, 23.2.2016
Manchmal braucht es jemanden von außen, um die blinden Flecken freizulegen, die innerhalb eines sozialen Gebildes das Sehen behindern. Die katholische Kirche ist eine deutungsmächtige Instanz in Boston, auch eine große Zeitung wie der „Boston Globe“ überlegt es sich zweimal, bevor er ihr an den Talar pinkelt. Erst der stadtfremde Chefredakteur Marty Baron – dessen jüdischer Background den Lokalblättern eine Meldung wert ist – beginnt damit, den Schleier zu lüften, der den strukturellen Missbrauch von Schutzbefohlenen vor der Öffentlichkeit verbirgt.
Tom McCarthy („Station Agent“) hat mit seinem dokumentarischen Thriller „Spotlight“ jene Ereignisse nachgezeichnet, die die katholische Kirche 2002 zunächst in Boston und dann auf der ganzen Welt mit ihren eigenen Abgründen konfrontierte. Der Film beleuchtet die Arbeit jenes titelgebenden Teams von Rechercheuren, das für seine bahnbrechende Investigation seinerzeit mit dem Pulitzer Preis geehrt wurde.
Fernab davon, ein noch immer heikles Thema kulturindustriell auszuschlachten, erzählt „Spotlight“ ohne Pathos oder künstlichen Thrill von der journalistischen Kärrnerarbeit, die das Schweigekartell der geistlichen Würdenträger zu Fall brachte und den Opfern sexualisierter Gewalt endlich die Möglichkeit gab, sich Gehör zu verschaffen. Das Drehbuch ist dabei derart präzise, dass sich nach der Premiere beim Festival in Venedig selbst die katholische Kirche berufen fühlte, den Film für seine Faktentreue zu loben.
„Spotlight“ wird dabei auch durch seine hervorragenden Darsteller getragen: Michael Keaton, Marc Ruffalo und Rachel McAdams setzen einem wichtigen Kapitel Zeitungsgeschichte ein beeindruckendes Denkmal. Wenn sich ein paar von denen, die allzu leichtfertig das Unwort von der „Lügenpresse“ aussprechen, diesen Film ansehen, ist schon einiges gewonnen.