Der Tagesspiegel, 19.09.2021
Auschwitz als deutsche Abwehrreaktion auf die „asiatische Tat“ der Gulags: Mit dieser These löste der Historiker Ernst Nolte 1986 den sogenannten Historikerstreit aus. Damals wurden Nolte und seine konservativen Kollegen von Jürgen Habermas, Hans-Ulrich Wehler, Micha Brumlik und anderen progressiven Denkern der Geschichtsklitterung überführt. Die Singularität der Shoah zu bestreiten, war meist eine Taktik von Rechtsnationalen. Es ging ihnen darum, die Schuld abzutun, die ein ungebrochen-nationales Pathos bedrohte.
Heute verlaufen die Frontlinien anders. Denn die historische Gewissheit, dass der Holocaust ein präzedenzloses Menschheitsverbrechen darstellt, das sich durch eine Reihe singulärer Merkmale von anderen Genoziden unterscheidet, wird zunehmend lauter auch von links attackiert.
Im März 2020 hatte die Kritik an der Einladung des kamerunischen Historikers Achille Mbembe als Eröffnungsredner der Ruhrtriennale eine Debatte über Holocaustrelativierung und israelbezogenen Antisemitismus losgetreten. Schon damals sprachen einige Beobachter:innen von einem „neuen Historikerstreit“.
Im Sommer 2021 nun hat sich die Auseinandersetzung noch einmal gehörig verschärft. Los ging es nach dem Erscheinen der deutschsprachigen Version des bereits 2009 publizierten Buches „Multidirectional Memory“ (Multidirektionale Erinnerung. Holocaustgedenken im Zeitalter der Dekolonisierung; Metropol-Verlag) des US-amerikanischen Literaturwissenschaftlers Michael Rothberg.
Die Unversöhnlichkeit der Debatte provozierte jedoch weniger das Anliegen Rothbergs, Erinnerungskulturen dialogisch zu verbinden und die vermeintlich konkurrierenden Leidtragenden einer globalen Gewaltgeschichte ins Gespräch zu bringen – etwa die Nachfahren von Naziverfolgten und die Opfer des Kolonialismus.
Den Eskalationspunkt des zwischen Teilen der Holocauststudien und Teilen der Postcolonial Studies im Grunde schon seit Jahren schwelenden Konflikts markierte vielmehr ein „Der Katechismus der Deutschen“ überschriebener Aufsatz, den der australische Genozidforschers A. Dirk Moses auf der schweizerischen Webseite „Geschichte der Gegenwart“ publizierte.
Hier bezichtigt Moses einen Großteil der Deutschen, die These von der Singularität der Shoah als Glaubenssatz blind herunterzubeten...