Der Tagesspiegel, 18.01.2021
Ein kalter Winterwind weht über das Wasser, der Himmel ist von dichtgedrängten Wolken verhangen. Bei den weißen Klumpen, die überall in der Gartenanlage des Hauses der Wannseekonferenz verstreut liegen, handelt es sich aber bloß um Schneedekoration. Im Außenbereich der Villa laufen die Drehvorbereitungen zu einem Film über die „Wannseekonferenz“, bei der führende Nazis am 20. Januar 1942 zahlreiche Details des Holocaust besprachen. Damals sah der Garten wohl so ähnlich aus wie jetzt.
„Vorhin wurde ich gebeten, mein Auto wegzufahren, weil der Wagen von Heydrich gleich ankommen soll“, sagt Deborah Hartmann. Sie habe sich aber standhaft geweigert, erklärt die österreichisch-israelische Politikwissenschaftlerin lachend: „Da ging mein jüdisches Selbstbewusstsein mit mir durch – vor Heydrich weiche ich keinen Zentimeter“. Die 36-jährige Hartmann hat zum 1. Dezember 2020 die Leitung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz übernommen. Aus Jerusalem, wo sie die deutschsprachige Sektion der International School for Holocaust Studies Yad Vashem mit aufbaute, bringt die gebürtige Wienerin nun jede Menge Erfahrung, Ideen und Humor mit nach Berlin.
Abgesehen von den Dreharbeiten herrscht momentan nicht viel Betrieb auf dem Gelände. Hartmann nutzt die Corona-Pause, um sich mit den Abläufen vertraut zu machen, ihre Kolleg*innen kennenzulernen und in aller Ruhe die 2019 grunderneuerte Dauerausstellung zu begutachten. „Gerade kann ich stundenlang alleine durch die Ausstellung streifen, mir für jedes Exponat so viel Zeit nehmen, wie ich möchte.“
Zugleich aber sei sie im Augenblick noch ungern allein in der Villa, sagt Hartmann. Denn erst durch die Besucher werde das Haus zur wirklichen Stätte des Gedenkens. Durch deren Corona-bedingte Abwesenheit dringe ihr die historische Schwere des Ortes ungleich stärker zu Bewusstsein. Auch der eigentümliche Widerspruch zwischen der Schönheit der Wannsee-Residenz auf der einen und dem Umstand, dass hier das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte geplant wurde auf der anderen Seite, werde im Moment besonders offenbar...