Der Tagesspiegel, 18.10.2017
Maurisch anmutende Formen, orientalisierendes Dekor – wer vor der „Neuen Synagoge“ in der Berliner Oranienburger Straße steht und schon mal die Alhambra im südspanischen Granada besucht hat, wird vielleicht ein ästhetisches Déjà-vu erleben. Denn die 1866 eingeweihte Berliner Synagoge zitiert recht augenfällig die Prachtbauten des spanischen Mittelalters. Der Bezug ist keineswegs einer bloß zufälligen Mode geschuldet, sagt Sina Rauschenbach, die an der Universität Potsdam zum sephardischen Judentum forscht.
In der Zeit zwischen der umayyadischen Eroberung großer Teile der iberischen Halbinsel im 8. Jahrhundert und der Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahr 1492 gab es immer wieder Phasen, die als „Convivencia“ gepriesen wurden, weil Juden, Christen und Muslime weitgehend friedlich beieinander lebten. Zumindest bis zum Niedergang des Kalifats von Córdoba im 11. Jahrhundert war al-Andalus ein prosperierendes Zentrum der Gelehrsamkeit, in dem sich die verschiedenen Kulturen und Religionen gegenseitig inspirierten. In dieser Zeit war es den sephardischen Juden auf der iberischen Halbinsel möglich, ihre Religion halbwegs unbehelligt auszuüben und gleichzeitig an den wissenschaftlichen Diskursen und am Alltag der Mehrheitsgesellschaft teilzunehmen…