Der Tagesspiegel, 25.04.2021
Die Themenfelder Sex und Shoah zu verbinden, ist in der öffentlichen Erinnerungskultur weitgehend tabuisiert. Auch die Forschung muss sich schwierigen Fragen stellen, wenn sie etwa untersucht, wie sich einzelne KZ-Insass:innen auf sexuellen Tauschhandel einließen, um die Hölle ein klein wenig erträglicher zu machen – vielleicht auch um ein, zwei Tage länger zu leben. Wenn hierbei auch noch queere Verhältnisse im Spiel sind, scheint der Skandal umso größer zu sein.
Dass es Ärger geben kann, wenn im Privaten erinnerte Familien-Narrative mit historischen Tatsachen kollidieren, hat vor kurzem die tschechisch-britische Holocaustforscherin Anna Hájková erfahren.
Die an der Universität Warwick lehrende Professorin für kontinentale Geschichte wurde von der Tochter einer jüdischen Holocaustüberlebenden verklagt, nachdem sie über deren mutmaßliches Verhältnis zu einer deutschen Lageraufseherin geschrieben hatte. Im April letzten Jahres wurde Hájková von einem Frankfurter Gericht verurteilt: Unabhängig davon, wie es sich tatsächlich zugetragen habe, dürfe sie aus Gründen des (postmortalen) Persönlichkeitsrechts nicht weiter behaupten, dass die ehemalige Insassin eines Außenlagers des KZs Neuengamme, Helene Sommer (Pseudonym), eine lesbische Beziehung zur Aufseherin Anneliese Kohlmann unterhalten habe...