Der Tagesspiegel, 17.07.2021
Permafrost-Schmelze und planetare Verwüstung auf der einen, digitale Totalüberwachung durch Staaten und Konzerne auf der anderen Seite – die Zukunftserzählungen der Gegenwart nehmen sich wie Sci-Fi- und Endzeitfilme aus. Wie der slowenische Philosoph Slavoj Žižek einmal bemerkte, schwanken die heutigen Erwartungen an Morgen zwischen „Dark Ages“ und „Tech-Dystopie“. Sie reichen von „Mad Max“ bis zu „The Circle“, von Wüsten-Scharmützeln bis zur Google-Diktatur. Keine rosigen Aussichten also – zu schweigen vom völkischen Retrofuturismus toxisch-nostalgischer Nationalisten.
Der Utopie-Verlust des 21. Jahrhunderts speist sich zum einen aus dem Scheitern der modernen Fortschrittserzählungen. Der Glaube des Marxismus an ein Ende der Geschichte hat sich als ebenso irrig erwiesen, wie die kapitalistische Grundannahme, dass es den Kindern einmal besser gehen werde als ihren malochenden Eltern. Auch dass deregulierte Märkte nicht notwendig Demokratie mit sich bringen, hat vielen Illusionen ein Ende gesetzt.
Zum anderen wird das Bild einer düsteren Zukunft durch die bereits düstere Gegenwart geprägt. Die Klimakatastrophe ist längst Realität. Trotz und wegen der ökologisch verheerenden Überproduktion leben Milliarden Menschen im Elend. Das demokratische Ideal wird weltweit von autoritären Kräften bedroht. Der „digitale Überwachungskapitalismus“ (Shoshana Zuboff) degradiert den Menschen zum Rohstoff seiner Daten. Schließlich hat die chinesische Regierung mit ihrem „Sozialkreditsystem“ den panoptischen Alptraum einer formvollendeten Menschenführung ins Werk gesetzt, der manchen Beobachtern als Blaupause künftiger Gesellschaften gilt.
Wie Walter Benjamins „Engel der Geschichte“ haben wir der Zukunft den Rücken gekehrt, sehen bloß noch „eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft“.
Die Politiken des sich als progressiv verstehenden Parteienspektrums ähneln dabei häufig einer Abwehrschlacht. Ob es um „Grünes Wachstum“ oder Besteuerungskonzepte von Tech-Giganten geht – als Maximum des Erreichbaren gilt, den Trümmerberg ein klein wenig abzutragen.
Der endzeitliche Sound der Klimabewegung, der in Greta Thunbergs „I want you to panic“ auf den Begriff gebracht wurde, motiviert indes zu wenige zum Handeln. Wer Angst hat, steckt oft den Kopf in den Sand. Wenn die Welt sowieso untergeht, haut man lieber nochmal richtig auf die Kacke, anstatt gegen Windmühlen zu kämpfen.
So wäre es an kritischen Intellektuellen und weitsichtigen Politikerinnen, neue utopische Fluchtpunkte zu setzen. Der traumtänzerischen Ideologie eines grenzenlosen Wachstums bei begrenzten Ressourcen die realistische Vision einer nachhaltigen Gesellschaftsordnung entgegenzuhalten. Nicht damit alles genauso geschieht, wie es am Reisbrett entworfen wurde, sondern als regulative Idee, mit der man politische Leidenschaften weckt.
Anstatt die Zukunft bloß als Verzicht zu beschreiben – weniger Autos, weniger Konsum – müsste man breit diskutieren, wie eine Postwachstumsgesellschaft und eine gemeinwohlorientierte Ökonomie aussehen und was durch diese alles gewonnen werden könnte. Vielen geht es heute höchstens darum, ein richtiges Leben im Falschen zu führen. Stattdessen braucht es Bilder vom Richtigen – als Kontrapunkt zu Wüste und Tech-Dystopie.